neue klassische Makroökonomik

neue klassische Makroökonomik
neue klạssische Makroökonomik,
 
englisch New classical economics [njuː 'klæsɪkl iːkə'nɔmɪks], Weiterentwicklung der neoklassischen Makrotheorie, die sich insbesondere um eine gleichgewichtsorientierte Erklärung konjunktureller Schwankungen bemüht. Wichtige Vertreter sind R. E. Lucas, Thomas Sargent und Neil Wallace. Die Modelle der neuen klassischen Makroökonomik basieren auf folgenden Prämissen: vollständige Preisflexibilität und permanente Markträumung, »natürliche« Arbeitslosigkeit beziehungsweise »natürliches« Aktivitätsniveau, rationale Erwartungen, unvollständige Informationen, Neutralität des Geldes. Konjunkturelle Schwankungen werden letztlich durch Informationsmängel erklärt: Kommt es beispielsweise zu einem Anstieg des nominalen Geldangebots und damit der monetären Gesamtnachfrage, steigt das gesamtwirtschaftliche Preisniveau. Auf der Mikroebene bewirkt dies eine proportionale Erhöhung der Einzelpreise. Diese Preiserhöhungen werden von den Produzenten - zumindest teilweise - nur als Erhöhung des Preises betrachtet, den sie für ihr eigenes Produkt erzielen können. Weil sie hierin irrtümlich eine Erhöhung ihres (realen) Gewinns sehen, dehnen sie ihre Produktion aus. Die Ausdehnung verstärkt sich, wenn davon ausgegangen wird, dass der höhere Gewinn nur temporär anfällt. In diesem Fall lohnt es sich besonders, heute mehr zu produzieren und in Zukunft dafür weniger. Das Verhalten der Güterproduzenten wird analog auf den Arbeitsmarkt übertragen. Auch hier treten Informationsunvollkommenheiten auf. Die Arbeitnehmer halten zumindest einen Teil der inflationsbedingten Lohnerhöhung für eine Erhöhung des Reallohns. Wenn sie dies nur als vorübergehendes Ereignis ansehen, werden sie ihr gegenwärtiges Arbeitsangebot unter der Prämisse ausdehnen, in Zukunft entsprechend weniger zu arbeiten. Umgekehrt kommt es bei einer vermuteten Senkung des Reallohnsatzes zu einer Einschränkung des Arbeitsangebots. Die Vertreter der neuen klassischen Makroökonomik folgern daraus, dass es keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt. Registrierte Arbeitslosigkeit sei darauf zurückzuführen, dass die Arbeitnehmer ihren Lohnsatz als temporär zu niedrig ansehen und daher künftige Muße gegen heutige substituieren. Sie werden in der Statistik nur deswegen als arbeitslos erfasst, weil sie ihre prinzipielle Arbeitsbereitschaft signalisieren. Da die konjunkturelle Entwicklung v. a. auf freiwillige Reaktionen von Produzenten und Arbeitnehmern zurückgeführt wird, sehen die Vertreter der neuen klassischen Makroökonomik wenig Anlass für konjunkturpolitische Eingriffe. Notwendig sei nur eine stetige Geldpolitik, um eine falsche Interpretation der Preissignale zu verhindern.
 
Kritik an den Konzepten der neuen klassischen Makroökonomik wird v. a. von Keynesianern geübt. Im Gegensatz zur Annahme vollständiger Preisflexibilität und permanenter Markträumung lassen sich in der Realität eher Preisrigiditäten beobachten, die eine ständige Markträumung verhindern. Als überzogen wird auch die Hypothese bewertet, dass die statistisch gemessene Arbeitslosigkeit überwiegend freiwillig sei. Dagegen steht, dass Arbeitslosigkeit in den meisten Fällen auf Entlassungen durch den Arbeitgeber zurückzuführen ist, nicht auf Kündigungen durch den Arbeitnehmer. Es ist auch wenig plausibel, eine lang anhaltende Massenarbeitslosigkeit durch intertemporale Substitution von Arbeitszeit und Freizeit zu erklären. Schließlich wird angezweifelt, dass es in größerem Umfang zur Verwechslung von relativen Preisänderungen und Änderungen des Preisniveaus kommt. Diese Verwechslung ist aber nach Auffassung der neuen klassischen Makroökonomik die treibende Kraft für den Konjunkturzyklus.
 
In den 80er-Jahren wurde eine neue Variante der neuen klassischen Makroökonomik entwickelt, die Theorie der realen Konjunkturzyklen. Diese erklärt Konjunkturschwankungen nicht mehr in erster Linie aus monetären Störungen, sondern aus unvorhersehbaren Störungen im realwirtschaftlichen Bereich. Im Vordergrund stehen dabei abrupte technologische Veränderungen (»technologische Schocks«). Als Beispiel dafür wird die Entwicklung und Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien genannt. Durch einen solchen positiven technologischen Schock erhöht sich die Produktivität von Arbeit und Kapital. Bei Entlohnung nach dem Grenzprodukt steigen auch Reallohn und -zins. Die Arbeitnehmer dehnen daher ihr Arbeitsangebot aus, und es wird mehr investiert. Damit hat der positive technologische Schock zu einer Ausdehnung der Wirtschaftsaktivitäten geführt, die als konjunktureller Aufschwung interpretiert wird. Die in der Realität zu beobachtenden komplexen Konjunkturzyklen werden durch sich überlagernde Schwingungen erklärt, die durch technologische Änderungen ausgelöst werden. Die Schwingungen sind der Ausdruck optimaler Anpassungsreaktionen von rational handelnden Wirtschaftssubjekten. Diese Betrachtungsweise führt zu einem weit reichenden konjunkturpolitischen Ergebnis: Da die Schwankungen in Produktion und Beschäftigung auf optimierendes Verhalten zurückzuführen sind, würde eine erfolgreiche Glättung dieser Schwankungen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen des Staates mit einer Verringerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt verbunden sein.
 
Gegen die Hypothese, dass letztlich technologische Schocks für die gesamtwirtschaftlichen Schwankungen verantwortlich seien, sprechen v. a. zwei Argumente: Erstens ist davon auszugehen, dass der technologische Fortschritt langsam und kontinuierlich diffundiert und nicht schockartig auftritt. Zweitens müssten Rezessionen konsequenterweise durch negative technologische Schocks, also durch technischen Rückschritt erklärt werden. In neueren Arbeiten sind Vertreter der Theorie der realen Konjunkturzyklen daher von bestimmten Positionen abgerückt und weisen darauf hin, dass auch ungünstige Witterungsbedingungen oder staatliche Auflagen, z. B. im Umweltbereich, zu einer Verminderung der Faktorproduktivität führen und im weiteren Sinn als negative technologische Schocks wirken können.
 
 
P. Minford u. D. A. Peel: Rational expectations and the new macroeconomics (Oxford 1983);
 R. E. Lucas: Theorie der Konjunkturzyklen (a. d. Engl., 1989);
 T. J. Sargent: Makroökonomik (a. d. Engl., 1994);
 
Advances in business cycle research, hg. v. P.-Y. Hénin (Berlin 1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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